Liebe Yogis! Mit diesem Artikel möchte ich eine Reihe starten, die sich mit dem achtgliedrigen Pfad des Patanjali beschäftigt. Das erste große Thema innerhalb dieser Yoga-Sutren heißt Yamas, was so viel wie „Zügel“ bedeutet. Im Rahmen der Yamas schauen wir uns heute das Thema Ahimsa ganz konkret an. Es bedeutet so viel wie „nicht Gewalt“. Viele denken beim Begriff Yoga erst mal an eine „indische Gymnastik“ für Frauen. Dieser „Gymnastik-Teil“ ist aber erst das dritte dieser acht Themen innerhalb dieser Yoga-Philosophie. Warum hat der Weise Patanjali zwei andere Themen der „richtige Hinsetzung“ (Übersetzung von Asana) vorgezogen?
Hintergrund
Patanjali
Patanjali war ein spiritueller Meister, der vor etwa 2000 Jahren im heutigen Bangladesch in einem Kloster lehrte. Er schrieb diese Regeln für Yogis, die sogenannten Yoga Sutras, zusammen. Damit man sie sich gut merken kann und sie unverfälscht weitergeben werden, formulierte er sie in Versform. Wir wissen heute noch genau, wie die einzelnen Verse heißen – die Schwierigkeit ist, dass die Bedeutung einzelner Wörter sehr viel Spielraum zulässt.
Der achtgliedrige Pfad
Die Yoga Sutras sind in acht Kapitel unterteilt. Jedes Kapitel bringt dich zum Ziel „Samadhi“, einem Bewusstseinszustand, in dem du mit allem verbunden und Teil von allem bist, erreichst.
- Yamas: Für den Umgang mit anderen.
- Niyamas: Für den Umgang mit sich selbst.
- Asana: Der Teil, den die meisten Menschen mit Yoga verbinden.
- Pranayama: Atemübungen.
- Pratyahara: Wie du deine Sinne wieder vom Außen zum Innen wendest.
- Dharana: Wie du vom geistigen Umherschweifen wieder auf ein Thema (Wort, Objekt) zurückkommst, um dich darauf zu konzentrieren.
- Dhyana: Wie du einen Zustand tiefer Meditation erreichst.
- Samadhi: Wie du dauerhaft einen höheren Bewusstseinszustand erreichst, in dem du Teil von allem bist.
Yamas / Niyamas
Man liest über die Yamas und Niyamas immer wieder, dass sie so etwas wie die 10 Gebote des Yoga sind. Und auch wenn es thematische Überschneidungen gibt, so sind sie doch viel weitreichender, als beispielsweise die christlichen 10 Gebote.
Beispiel: „Du sollst nicht töten“ und Gewaltlosigkeit passen zwar thematisch zusammen, aber „nicht Gewalt“ geht viel weiter. Sie meint nicht nur, dass du keine anderen Lebewesen töten sollst, sondern dass du sanft mit dir und allen anderen Lebewesen sein sollst. Das geht viel weiter und fängt vorrangig bei dir selbst an. Wenn keiner sein Denken und Handeln verändert, wird sich auch nichts ändern.
Im Folgenden gebe ich dir eine kurze Auflistung dieser Empfehlungen. Ich werde in loser Folge immer wieder mal über eines dieser Themen einen neuen Blogartikel schreiben.
Yamas (Moral)
- Ahimsa (Gewaltlosigkeit)
- Satya (Wahrhaftigkeit)
- Asteya (Begierdelosigkeit)
- Brahmacarya (Sinnesentlastung)
- Aparigraha (Zügelung der Begierde, des Besitzes)
Niyamas (Selbstdisziplin)
- Shauca (Reinheit)
- Santosha (Zufriedenheit)
- Tapas (Enthusiasmus)
- Svadhyaya (Selbstbeobachtung)
- Ishvarapranidhana (Hingabe an den Herrn, ich würde Schöpfer/Schöpfung sagen)

Rückblick
In meinem letzten Artikel habe ich mich damit beschäftigt, warum die Denkweise von „gut und schlecht“ oder „gut und böse“ ungeeignet ist, um selbst ein friedvolles Leben zu führen. Die Welt besteht nicht aus gut und schlecht, genauso wie du, dein Partner, deine Kinder, deine Kollegen, dein Chef nicht aus gut und schlecht bestehst. Wir tragen alles in uns!
Gut und schlecht ist eine Denkweise, die auf der einen Seite sehr kindlich ist. Indes wird sie aber auch immer schon benutzt, um die Welt und die Menschen zu teilen („divide et impera“), um sich bei der Umsetzung der eigenen Ziele leichter zu tun. Geteilte Menschengruppen waren und sind schon immer leichter zu lenken, als wenn alle in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit (Liberté, Égalité, Fraternité) leben.
Geteilte Menschengruppen mag aber keiner von uns als Familie. Warum akzeptieren wir das dann im Großen? Was im „Großen“ passiert, interessiert uns als Yogis hier erst mal nicht. Wir lenken unsere Aufmerksamkeit zuallererst auf uns selbst (Brahmacarya), auf unsere Themen, um zuerst uns selbst zu befrieden. Nur wenn jeder von uns mit sich selbst in Bewusstheit und Frieden lebt, wird sich auch im Außen, in der Familie, in Gruppen, im Großen, etwas ändern. Nur die Veränderung im Mikrokosmos wird eine Veränderung im Makrokosmos herbeiführen.

Ahimsa
Das Wort Ahimsa setzt sich aus „a“, was „nicht“ bedeutet und „himsah“, was „Gewalt, Verletzen, Töten, Schaden“ bedeutet, zusammen. Jetzt könnte man auch einfach „Frieden“ schreiben. Frieden ist als Manifestation ein prima Begriff, denn alle „nicht“ Formulierungen funktionieren als Manifestationen nicht. Deswegen gab es in Deutschland der 80er Jahre mal die Friedensbewegung. Es war eine Bewegung, die sich dafür einsetzte, dass die Maxime Frieden über anderen „alternativen“ Politikentwürfen steht, auch wenn es keinen konkreten Krieg in Europa gab. Auch Ghandis passiver Widerstand war ein konkreter friedlicher Entwurf einer tiefen inneren Einstellung von Ahimsa.
Warum „Nicht Gewalt“ statt „Frieden“
Patanjali hat sich bewusst für den Begriff Ahimsa entschieden. Gäbe es Gewalt und Kriege, wenn es keine Menschen auf der Erde gäbe? Frag mal 10 Menschen, ob sie Frieden oder Gewalt in ihrer Familie haben möchten. Was, glaubst du, bekommen wir da für ein Ergebnis? Ich bin mir sicher, dass 100 % grundsätzlich für Frieden sind. Das Problem ist, dass nur sehr wenige Menschen wissen, wie sie dieses abstrakte Ziel Frieden durch gelebte Gewaltlosigkeit erreichen können.
Patanjali hat sich für den Begriff Ahimsa entschieden, weil Gewalt trotz des Wunsches nach Frieden ein Teil unseres Lebens ist: „Über 250.000 Menschen sind 2023 Opfer von häuslicher Gewalt geworden – 6,5 Prozent mehr als im Vorjahr: Das zeigt das Lagebild „Häusliche Gewalt“ des Bundeskriminalamtes.“1 Gewalt war und ist ein Teil von uns Menschen – auch in der vermeintlich sicheren Familie.
Erst wenn du akzeptierst, dass auch du Ärger, Wut und Zorn in dir hast, wird sich in dir etwas ändern. Erst wenn du deinen Ärger, Wut und Zorn ansiehst und ihn nicht mehr auf dich selbst oder andere projizierst und ablässt, wird sich die Gesellschaft verändern, weil du dich verändert hast. Alles, was du in dir trägst, wird dir durch andere Menschen gespiegelt, die dir das Thema als „Packerl-Lieferant“ übergeben. Diese Themen sind nicht Teil von deinem Selbst, denn wenn sie das wären, könntest du sie nicht selbst erkennen und auflösen. Diese Gefühlszustände sind Teile deines Egos und deshalb kannst du sie ansehen und auflösen. Es ist wie mit dem Witz, der Buddhisten zugeschrieben wird:
„Treffen sich zwei Fische. Sagt der eine: Sag mal, hast du schon mal was von diesem Wasser gehört?“
Ahimsa: Erst mal hinkommen!
Diese Überschrift ist frei nach dem Film „Das Boot“ von Lothar-Günther Buchheim. Die Besatzung von U96 im Film erhält einen neuen Zielhafen: La Spezia, d.h. sie müssen durch die Meerenge von Gibraltar. Ich habe mehrere Monate nicht weit davon gearbeitet und bei gutem Wetter konnte ich Gibraltar und Ceuta sehen. Auch wenn hier die Verfilmung nicht dem Buch folgte, kann man die Todesangst der Soldaten im Boot deutlich spüren. Es scheint für sie fast unmöglich, unversehrt durch die englischen Absperrungen ins Mittelmeer zu gelangen.
Wie soll man nur Gewaltlosigkeit umsetzen, wenn es einen immer wieder so umtreibt, dass man gar nicht weiß, wie man ruhig bleiben soll? Vielleicht hast du in deiner Kindheit körperliche Übergriffe erlebt und du weißt noch genau, wie man sich dabei fühlt: wütend, verletzt, machtlos und zu guter Letzt distanziert. Gewalt erzeugt Unverständnis und diese erzeugt wiederum Distanz. Man liebt den anderen vielleicht, aber die Distanz wird immer größer. Du hast für dich entschieden, dass du gegenüber anderen niemals Gewalt anwenden möchtest, sondern sanftmütig und verständnisvoll sein willst.

Dennoch kennst du in dir das Gefühl, dass du immer wieder mal wie ein Dampfkochtopf unter Druck stehst. Wehe, jemand dreht abermals die Temperatur etwas höher und du kannst dich nicht mehr zusammenreißen und alles in dir fliegt unkontrolliert raus.
Wir können uns einfach nicht konstant „zusammenreißen“ und unseren Zustand „under pressure“ ignorieren. Auch wenn du jetzt denkst, dass du ja Super-Yogi bist und als Super-Yogi bist du ganz ruhig und diszipliniert (Eddie Murphy in „Die Glücksritter“: „Karate-Kämpfer bluten nach innen“). Irgendwann gehen wir hoch, weil wir uns zwar vorgenommen haben, nach dem Grundsatz Ahimsa zu leben, es aber bislang nicht konkret umsetzen können. Damit du nicht wie ein HB-Männchen herumläufst, nutzen wir Yogis Meditationen und Yogaübungen, um Dampf abzulassen und unser gesamtes System wieder zu befrieden (Nerven, Hormone, Gedanken, Verletzungen).

Lösungsweg: Regelmäßig Dampf ablassen
Es bringt nichts, wenn du deine Wut und deine Aggressionen einfach in dir lässt – sie werden sich gegen dich richten und dich auffressen. Nach einem Urlaub sind wir eine Weile ruhig und entspannt, aber eines Tages wird es wieder zu viel und dann ist es zu spät. Wir haben nicht gelernt, mit Stress und unseren Themen umzugehen.
Deswegen ist es leichter, täglich oder wöchentlich dranzubleiben und regelmäßig durch deine Innenschau und Yoga dafür zu sorgen, dass du entspannt bist und bleibst. Das ist im Übrigen auch viel besser für dein Nervensystem, das mit dauernder Belastung nicht gut umgehen kann. Und wenn es doch mal zu viel wird, ist es besser, sich mal für eine Weile zu verzupfen. Nutze diese kleine Auszeit, um zu meditieren, deine Gefühle anzuschauen, selbst Dampf abzulassen, durchzuatmen und dann kann man auch wieder normal reden, ohne sich zu verletzen oder gleich verletzt zu sein. Ahimsa will geübt und gelernt werden. Eine gemeinsame Freundin von uns hatte dazu mit ihren Kindern vereinbart, dass jeder, wenn er merkt, dass er sich nicht mehr zusammenreißen kann, das T = Timeout-Symbol mit den Händen macht. Ihr könnt aber auch das Herz-Symbol für euch verwenden, um einander zu signalisieren, dass es jetzt weh tut und du ein Timeout benötigst.
Zusammenfassung
Gehe stets liebevoll, bewusst und sanftmütig (mit Ahimsa), mit dir um. Erkenne, wenn es dir zu viel wird und verschaffe dir feste Freiräume, um für dich zu sorgen. Füge diese Freiräume an festen, bestehenden Abläufen deines Tages ein. Nur so wird es eine Gewohnheit und du wirst dran bleiben, für dich zu sorgen: Wenn du in dir aufräumst, bleiben nicht so viele Themen an dir haften und du bist insgesamt entspannter. Damit wird dein Leben liebevoller, ruhiger und du hast wieder mehr Freude am Leben. Wenn es dir gut geht, werden das auch andere Menschen erkennen und du ziehst andere wunderbare Menschen in dein Leben, die dich respektieren und lieben, weil du dich respektierst und liebst.
Unser Programm
Um Dampf abzulassen und gleichzeitig dein Nervensystem herunterzufahren und es zu trainieren, habe ich dieses Mal zwei Kriyas vorbereitet. Wir starten mit einer relativ kurzen Anti-Stress-Übungsreihe, die auch dein Herz und deine Nerven stärkt. Im Anschluss machen wir eine Kriya zur Stärkung deines Nervensystems. Beide Kriyas sind sehr abwechslungsreich, gehen tief und sind dennoch relativ leicht. Nach der Tiefenentspannung schließen wir mit einer wunderbaren Meditation für starke Nerven ab.
Wenn du Fragen und Anregungen zum Text hier hast, kannst du gern unten einen Kommentar hinterlassen. Wenn dir der Text gefällt, freue ich mich, wenn du ihm unten 5-Sterne gibst. Das hilft anderen dabei, leichter die Inhalte zu finden, die dich und andere interessieren. Wenn dich das Thema interessiert und du deiner Seele, deinem Geist und deinem Körper etwas Gutes tun möchtest, dann melde dich jetzt einfach spontan bei mir zur kostenlosen Probestunde an. Ich freu’ mich.
Liebe Grüße — SAT NAM,
Jürgen Raj Arjan Singh
Lieber Jürgen, vielen Dank für deinen neuen Artikel!!! Ich finde ihn wieder so stimmig und inspirierend für diese Zeit🙂😇!!!
Freue mich schon wieder auf die morgige Yoga-Praxis😍…
Liebe Conny, ich freue mich sehr, dass der Artikel dich anspricht! Das Thema ist wichtig wie eh und je 🫶