Liebe Yogis! Als wir vor einigen Wochen für den Sommerurlaub nach Kroatien packten, überlegte ich noch kurz vor dem Losfahren, welche der Bücher, die im Noch-Nicht-Gelesen-Stapel am Boden lagen, ich mitnehmen soll. Eines der beiden Bücher war „Das Experiment Hingabe: Mein Weg in die Vollkommenheit des Lebens“ von Michael A. Singer. Wenn du das Buch zufällig schon gelesen hast, weißt du, dass es darin aber gar nicht um Mitgefühl geht. Und dennoch hat es mir geholfen, alte Wunden durch eine buddhistische Meditationspraxis mit Mitgefühl zu heilen.
Ich konnte aus dem Buch mindestens zwei Dinge mitnehmen:
Hingabe
Das Buch von Michael A. Singer brachte mich auf ziemlich verrückte Weise zum Gedanken, dass wir zwar unser Leben planen können, aber oft gegen unser Herz oder unsere Bestimmung, dafür mit unserem Verstand entscheiden und handeln. Wenn es dann überhaupt nicht läuft, wundern wir uns, warum dieser Weg so steinig ist. Michael A. Singer hat eines Tages beschlossen, dass er Angebote, die ihm aus welchen Gründen auch immer, angetragen werden, annimmt und diese Dinge macht. Dies auch dann, wenn er aktuell noch vielleicht Widerstände oder sogar Ablehnung gegen etwas hat.
Das Ganze klingt erst einmal ziemlich verrückt. Sein Leben gewinnt jedoch durch diesen eingeschlagenen „höheren“ Weg, den er dann konsequent geht, unglaublich an innerer und äusserer Fülle, Tiefe, Vertrauen und Liebe.
Solch ein Konzept klang noch vor wenigen Jahren für mich ziemlich „verrückt“. Ich würde sogar sagen, dass ich gesagt hätte, dass das ja wohl vollkommen „durchgeknallt“ ist. Klar bestimme ich selbst in meinem Leben, was ich mache und wie. Was soll da von „oben“ oder „sonstwem“ denn bitte kommen? Ich hätte vermutlich auch so etwas in der Art gesagt wie „Klar spricht das Universum oder die Schöpfung permanent mit mir. Ich ratsch unglaublich gern mit der Schöpfung!“.
Meine Gedanken waren wohl eher von der Philosophie geprägt: Wenn man sich nur genug anstrengt, kann man alles erreichen, wenn es einem das wert zu sein scheint. Da muss man dann eben durch und dann wird’s gut. Aber oft wird es nicht gut, geschweige denn besser ;-).
Diese Verstandesentscheidungen scheinen eine gut durchdachte Basis für vieles zu sein. Sie bringen uns aber leider oft nicht zu dem, was uns wirklich im tiefsten Grund unserer Seele berührt und auch glücklich macht. Wir kennen uns zu wenig. Der Verstand ist bei vielen unserer Entscheidungen, wie ich über die Jahre gelernt habe, ein Begleiter, der unsere Entscheidungen zwar mit einigen „facts“ unterfüttern kann, der aber nicht der wichtigste Grund sein sollte, etwas zu tun.
Außerdem treffen wir viele unserer Entscheidungen so, wie uns der „Brotkrumenweg“ oder „Weg der Karotte“ von lieben Menschen z.B. unseren Eltern oder nahen Verwandten oder „der Firma“ aufgezeigt wird. Wir bewundern unsere Eltern und der Impuls ist sehr nah, dies auch darin zum Ausdruck zu bringen, den gleichen Beruf wie die Eltern oder nahe Verwandte einzuschlagen. Das Gleiche gilt für „Vorbilder“ in den Medien.
Der Gedanke, sich auf seinem Weg hier in diesem Leben von einer höheren Macht führen zu lassen, den Weg im Vertrauen anzunehmen, ihn aber dennoch selbst zu gehen, hat für mich mittlerweile etwas sehr Wunderbares und Schönes. Derzeit gehen mir viele Gedanken durch den Kopf, ob das vielleicht ein noch besserer Weg für mich ist. Noch ist das nicht klar, aber ich gehe weiter und schaue, was hinter der nächsten Kurve auftaucht. Vielleicht eine Umleitung auf eine Nebenstrasse, weil die Hauptstrasse versperrt ist – mal sehen.
Meditation auf Mitgefühl
Als ich mir das Buch „Das Experiment Hingabe“ durchgelesen habe, kam irgendwann der Teil am Anfang, wo Michael A. Singer beschreibt, dass er mit seiner Partnerin und einigen Freunden mit seinem alten VW-Bus in die Natur hinausfährt. Er sucht einen ruhigen, schönen Platz und setzt sich im vollen Lotus hin, um die Erleuchtung zu erfahren. Er hatte die feste Intension, nicht vorher aufzustehen. Ich musste an dem Teil innerlich schmunzeln, weil es für mich so klang wie: „Jetzt wird es ernst: die Rakete ist vollgetankt und gezündet und der Pilot nimmt im Vollen Lotus (Kamalasana) Platz, bevor es abgeht ins Universum nach Innen!“.
Er erzählt sehr wenig über den Weg der Meditation an sich – außer, dass er dem Zen-Buddhismus folgt. Bis auf den Energiefluss durch die Nase in den Bereich des energetischen Nabels (wo in der yogischen Philosophie die 72.000 Nadis, auch Energiekanäle genannt, entspringen) und das Mantra Mu, das im Zen-Buddhismus verwendet wird, erzählt er eigentlich nicht viel, wie er vorgeht. Dennoch hat es in mir „klick“ gemacht und mir war sofort klar, dass ich im Bereich der Meditation und speziell in diesem Bereich der Meditationen noch viel tiefer einsteigen werde. Und so habe ich schon im Urlaub damit begonnen zu meiner täglichen Yogapraxis noch zweimal 30 Minuten zu meditieren.
Buddhismus, Meditation, Mitgefühl
Das zweite Buch, das ich in den Urlaub mitnahm, war „Das Herz von Buddhas Lehre: Leiden verwandeln – die Praxis des glücklichen Lebens“ von Thich Nhat Hanh. Ich hatte es schon vor dem Urlaub angefangen zu lesen. Irgendwann hatte ich damit aufgehört, weil es mir zu theoretisch wurde und ich für den Anfang einen eher praktischen Leitfaden zum Buddhismus gesucht hatte.
Ein Teil in dem Buch hatte mich aber schon vor der Fahrt in den Urlaub stark bewegt, weil ich es mehrfach erfolgreich ausprobiert hatte. Es ist die Meditation zum Thema Mitgefühl. Es geht darum, zur Ruhe zu kommen (ich sage jetzt bewusst nicht: Du musst ganz tief im vollen Lotus meditieren und dann …) und sich die schmerzhaften Ereignisse in seinem Leben ansehen. Was kommen hier noch für Gefühle bei den einzelnen Szenen hoch? Welche Ereignisse spült dein Unterbewusstsein überhaupt hoch? Was ist, wenn du dir mehr Zeit dafür lässt?
Wenn du bei einem Ereignis noch Schmerzen hast und das merkst du rasch, dann nimmst du dich in der damaligen Situation liebevoll in den Arm und schenkst dir Mitgefühl. Lass das Mitgefühl fließen und beobachte dein Gefühl, deinen Schmerz, dein Leid. Nach einiger Zeit wird es besser, leichter und friedlicher. Dann ist es erst mal gut. So gehst du von Ereignis zu Ereignis. Ich finde, man spürt sehr schnell, wie es friedlicher in einem wird, wie der Druck nachlässt. Eine der schönsten Techniken, die ich seit Langem gefunden habe.
Kaum zu Hause bin ich bei YouTube auf die Suche zum Thema Buddhismus gegangen und ich habe ein Video mit dem buddhistischen Mönch Matthieu Ricard mit dem Titel „Suchen Sie das Glück, wo es ist.“ gefunden.1 In dem Video empfahl er auch die Meditation auf Mitgefühl und genau das mache ich jetzt seit einigen Wochen.
Empathie, Mitgefühl und Mitleid
Wenn du im Internet nach Mitgefühl suchst, findest du einige Seiten, in denen es um Empathie, Mitgefühl und Mitleid geht. Ich würde die drei Begriffe, wie folgt beschreiben:
Empathie
Empathie ist die Fähigkeit, sich emotional auf sich oder jemanden anderen wirklich einzulassen. Du kannst an deiner Empathie „arbeiten“.
Mitgefühl
Du hast Empathie und fühlst mit dem, was dir oder anderen passiert oder wie sie leben mit. Das Wichtigste dabei ist, dass du mit dir, aber auch mit jemanden anderen auf einer Stufe stehst. Mir wurde das bei einem Erlebnis im Jahr 2021 im Urlaub in Kroatien gezeigt, als mir ein Kellner seine Lebenssituation in astreinem Deutsch erklärte. Er lebte eigentlich weit im Süden von Kroatien, er war der letzte seiner Familie und er arbeitete den ganzen Sommer von Mai bis Oktober dort im Restaurant 7 Tage die Woche von früh bis spät. Im Oktober macht er dann ein paar Wochen Urlaub und ging dann immer zum Arbeiten nach Deutschland, wo er im Gartenbau arbeitete.
Mir tat der Mann, der mir sofort sympathisch war, Leid. Als ich mich einige Stunden später noch einmal in die Situation versetzte, wurde mir nach einiger Zeit klar, dass das Mitleid, das ich mit ihm hatte, uns auf unterschiedliche Stufen setzte. Mir ging es besser und ich sah auf ihn herab (wenn auch mit Gefühl). Seit damals spüre ich den Unterschied sofort, wenn ich mal Mitleid mit jemandem oder einem Tier habe und versuche gleich mit neben denjenigen zu setzen.
Ein zweites Indiz für Mitleid ist bei mir, wenn ich durch eine leidvolle Situation eines Menschen oder Tieres fast vollständig blockiert bin, ich kaum mehr zu einer hilfreichen Handlung oder Empathie fähig bin, weil es mich ins Mark trifft. Genau hier hilft es mir, wenn ich in der Nachschau noch einmal in die Situation gehe und dem anderen und auch mir selbst bewusst Mitgefühl oder Liebe sende. Das lindert den Schmerz, baut die Blockade ab und bringt mich wieder zurück in die Empathie. Es ist nicht gut, wenn man vor lauter Schmerz irgendwann zumacht und keine tiefen Gefühle mehr zulässt. Man erstarrt sonst immer mehr zu einem Gefühlseisklotz, weil es zu weh tut. Ganz langsam und von innen heraus.
Mitleid
Wenn du mit dir oder jemanden anderen mitfühlst, du aber aus diversen Gründen nicht als gleiche(r) unter gleichen mit dem anderen umgehst, sondern eher als „Primus inter pares“.2 Du kannst das übrigens auch dir selbst gegenüber haben, indem du vielleicht sagst, dass du „damals“ ja noch dumm und blauäugig warst, aber heute natürlich schon viel weiter bist. Damit nimmst du dir selbst gegenüber heute eine höhere Stufe ein, als wie du früher warst. Du bist dann nicht auf der gleichen Stufe wie der andere, sondern dir geht es (heute) besser. Eine echte emphatische Annäherung ist durch Mitleid nicht möglich.
Mitleid schafft Distanz oder bringt sie zum Ausdruck. Sie hebt den Unterschied hervor. Du kannst das Mitleid auflösen, indem du dich auf eine Stufe stellst und dir Zeit gibst, bis in dir ein echtes Gefühl für den anderen kommt. Lass es zu und schau, ob du eine ähnliche Situation von dir kennst. Mitgefühl ist eine Art nachfühlen. Schau deine eigenen schmerzhaften Ereignisse in deinem Leben an und heile dich.
Unser Programm
Wir machen eine kleine Aufwärmübung und starten mit der abwechslungsreichen Übungsreihe für Mitgefühl. Nach der Tiefenentspannung machen wir eine wunderbare Meditation zum Mantra für Schutz und Mitgefühl „Rakhe Rakhanhar“. Es ist ein wunderbares Mantra, aber leider auch vom Text das so ziemlich komplizierteste im Kundalini Yoga. Deswegen haben alle Yogis schon mal den Text und das Lied, das wir dazu verwenden, vorab per Mail bekommen. „Rakhe Rakhanhar“ in der Vertonung von Singh Kaur war mein erstes Mantra, das ich schon Jahre als Schutzmantra sang, bevor ich überhaupt zum Kundalini Yoga kam.
Wenn du Fragen und Anregungen zum Text hier hast, kannst du gern unten einen Kommentar hinterlassen. Wenn dich das Thema interessiert und du deiner Seele, deinem Geist und deinem Körper etwas Gutes tun möchtest, dann melde dich jetzt einfach spontan bei mir. Ich freu’ mich.
Liebe Grüße — SAT NAM,
Jürgen Raj Arjan Singh
- https://www.youtube.com/watch?v=CGlHR9hcb5A&t=2238s ↩︎
- https://de.wikipedia.org/wiki/Primus_inter_pares ↩︎